TEMPORÄRE ARBEITEN : SOCKELSKULPTUR

Geometrie im Wind

Eigentlich sind die Brüder Maik und Dirk Löbbert Künstler für Stadträume und Architektur. Sie gehen verschluderte, rudimentäre, zerfahrene Plätze und Häuser an. Sie begegnen ihnen mit ihrem geistvollen Fundamentalismus der Geometrie und spannen Separates, ja Disparates zu einer neuen Gestalt.

Das beginnt 1988 im Kölner Stadtteil Sülz. Vor einer abgekanteten Hausecke feuchten sie Teile des Bürgersteigs an und zeichnen mit Hilfe der Nässe ein gleichseitiges Dreieck heraus. Dessen Basis ist die ca. 2 Meter breite Hausecke, die Nässe ergänzt sie zur Triangulatur. Eine Stunde lang malt das Wasser eine schimmernde Pfeilspitze aufs Trottoir und überführt den stumpfen Hausverschnitt in eine ideale Flächenfigur. Dann leckt die Sonne die asketische Pflastermalerei wieder weg.

Für die Brüder Löbbert eine ebenso wichtige wie einfache Arbeit. Mehr noch: ein Angelpunkt in ihrem jugendlichen Werk, das sie seit 1985 gemeinsam vorantreiben. Seitdem gilt dieses Werk der Anspannung und Klärung des Raums durch die Energien der schieren Geometrie. Seit den 90er Jahren greift es auf architektonische Maßstäbe und urbane Situationen aus. Ein geometrischer Rigorismus integriert Böden, Mauern, Treppen, Dächer, aber auch ganze Straßenkreuzungen und lädt sie mit Gestalt, Formlogik, Eindeutigkeit, Rhythmus auf.

Was aber, wenn die beiden auf eine Situation stoßen, die bereits geometrisch durchformuliert ist? Wenn im Kölner Vorgebirgspark der nördliche Teil des Gartenbereichs bereits zu einem straffen Rechteck architektonisiert erscheint? Wenn dieses Geviert an allen vier Seiten durch kubische Steinsockel markiert wird? Auf jedem Sockel stand früher eine Skulptur. Der Verlust ist heute noch einsehbar.

Hier setzen die Brüder an. Da außer den Skulpturen nichts Maßgebliches zu verfremden oder zu komplettieren ist, geben sie den Quadern ihre Sockelfunktion zurück. Da im Garten bereits alles geometrisch Mögliche getan ist, gehen sie in die Luft. Über jedem Sockel steigt, bis zu l0 m hoch, ein roter Luftballon auf. Durchmesser jeweils: 1,5 Meter. Die luftige Sphäre kontert den unverrückbaren Eckstein. Ihre schwebende Masse wiegt optisch Volumen und Gewicht der Quader aus. Die Ballons belasten den Unterbau jedoch nicht, sondern ziehen ihn - potentiell - nach oben. Sie stellen so das übliche Verhältnis von Sockel und Skulptur auf den Kopf - auch ein Beitrag auf diesem von Duchamp über Brancusi bis zu Manzoni immer wieder zentralen Strang der modernen Skulptur.

Nur an einer Stelle nutzen die Löbberts ihre Chance. Die Schnüre, an denen die; Luftballons hängen, rahmen das dreidimensionale Karree vierfach durch eine vertikale Lineatur. Sie umstellen es mit einem feinen Liniengerüst und steigern die Geometrie des Grundrisses so zur fiktiven Stereometrie. Diese Künstler bleiben, auch in der Luft, dem Geometrischen, Stereometrischen treu. Deshalb erinnern die roten Ballons auch weniger an heiteres Jahrmarktstreiben oder Kinderspiel, sondern an Grenzmarkierungen oder fliegende Bojen. Ein Zugriff, der ganz den bildnerischen Esprit der Brüder atmet und, ohne ein Wort zu viel, mit äußerster formaler Ökonomie, in den Himmel greift.

Gleichzeitig entgegnet die Verbindungslinie zwischen den Ballons der einzigen nachhaltigen Abweichung vom strikten Regelmaß. Die gewachsene Gipfelkette der Bäume ringsum hat ihren eigenen weichen Zackenschnitt. Die Ballons vermessen wiederum ihren eigenen Höhenstand. Und noch eines entzieht sich selbst der strengen Fügung. Jeder Windzug verschiebt den imaginären Rechteckraum zwischen den Luftballons und ihren Halteschnüren ins Schräge. Er verrückt seine Stereometrie. Ballons und Linienecken sind ständig bewegt und rütteln an der Herrschaft des Euklid. Der Hauch, der durch die Wipfel geht, streift die Ballons und verhindert, daß die Geometrie das letzte Wort behält. Auch das ist neu für die Brüder Maik und Dirk.

Manfred Schneckenburger

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